von Prof. Dr. iur. Falk Peter Würfele und Dipl. Kfm. Steuerberater Oliver Heiny, KÖTAX Düsseldorf

Die Autoren verteidigen seit mehr als 20 Jahren zusammen komplexe Steuerstrafverfahren und haben für diesen Artikel ihre Erfahrungen zusammengefasst.

„Steuerstrafverteidigung ist der Kampf um die Meinung der Strafverfolgungsbehörden. Steuerstrafverteidigung ist Kommunikation. Steuerstrafverteidigung ist die Kunst für die Sichtweise des Beschuldigten zu werben. Steuerstrafverteidigung ist die harte Arbeit alle Argumente für den Beschuldigten ins Feld zu führen. Diese Argumente können Tatsachen sein, die für den Beschuldigten sprechen oder auch rechtliche Argumente.“

Hausdurchsuchung, Vorladung als Beschuldigter, Mitteilung der Einleitung eines Strafverfahrens durch die Steuerfahndung oder die Staatsanwaltschaft setzen jede Person unter Schock und unter extremen Stress. Ein Steuerstrafverfahren ist nach § 397 Abs. 1 AO eingeleitet, „sobald die Finanzbehörde, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, eine ihrer Ermittlungspersonen oder der Strafrichter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen.“
Diese Situation kann jeden treffen. Jeder Bürger kann Gegenstand eines Steuerstrafverfahrens werden auch wenn derjenige nach bestem Wissen und Gewissen versucht hat, alles richtig zu machen. In jedem Fall ist es jetzt wichtig einen kühlen Kopf zu bewahren.

1. Maßnahme: Schweigen

Als Beschuldigter in einem Steuerstrafverfahren hat jedermann das Recht zu schweigen.

Nach § 136 und § 163a der einem Beschuldigten vor welche Tat bzw. Ordnungswidrigkeit ihm zur Last gelegt wird. Er ist darauf hinzuweisen, „es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen“, insbesondere wenn er „sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst belasten müsste, und jederzeit, auch schon vor der Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Rechtsanwalt/Strafverteidiger (§ 392 AO Steuerberater) zu befragen. Von diesem Recht kann Beschuldigter laut § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO bereits bei ein der polizeilichen Anhörung zur vorgeworfenen Tat Gebrauch machen. Er ist ferner darüber zu belehren, dass er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen kann. Bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft muss außerdem dargelegt werden, welche Strafvorschriften in Betracht kommen.

Von diesem Recht sollte unbedingt Gebrauch gemacht werden, auch dann, wenn die Beschuldigte Person nach eigener Auffassung alles richtig gemacht hat. Denn in der ersten Aufregung, zum Beispiel im Rahmen einer Hausdurchsuchung, besteht ein erhebliches Risiko (auch unbewusst) falsche Angaben zu machen. Der Satz: „Wenn Sie nichts zu verbergen haben, können Sie doch reden“ ist falsch. In diesem Sinne sollte auch unbedingt der Mitnahme von Akten, Laptops, etc. widersprochen werden. Auf keinen Fall sollte dazu ein Einverständnis erklärt werden.

Wichtig ist auch, dass z. B. bei einer Durchsuchung einer Firma der bisherige Firmenrechtsanwalt*In oder Steuerberater*In oder die Mitarbeiter keinerlei Angaben eigenmächtig machen. Das Gebot der Stunde heißt: Ruhe bewahren und den Sachverhalt erfassen. Eine eventuelle Presserklärung sollte nur nach Konsultation mit dem Verteidigungsteam erfolgen.

2. Maßnahme: Anruf bei einem Strafverteidiger*In

Als erster aktiver Schritt sollte ein Strafverteidiger*In und ein Steuerberater*In, spezialisiert auf Steuerstrafverteidigung, eingeschaltet werden. Ein Strafverteidigungsteam hat Erfahrung mit diesen Situationen und kann erstmal Ruhe in die Aktion bringen. Das Gleiche gilt für die Begleitung zu einer Beschuldigtenvernehmung.

Die Strafverfolgungsbehörden (Finanzamt, Steuerfahndung, Polizei, Staatsanwaltschaften, Sonderbehörden, Zoll, etc.) ermitteln oft eher gegen den Beschuldigten. Es werden in erster Linie Fakten und Beweise zusammengetragen, die den Beschuldigten belasten. Oft ist das Strafverteidiger*innen Team die erste Einheit, die den Beschuldigten ausführlich anhört und auch seine Argumente als Möglichkeit der tatsächlichen Geschehnisse in Betracht zieht.

3. Maßnahme: Sachverhaltserfassung und Akteneinsicht

Von den Behörden ist zunächst Akteneinsicht (§ 147 StPO) zu nehmen um zu erfahren, was genau dem Beschuldigten vorgeworfen wird. Die Akteneinsicht ist das Fundament der Steuerstrafverteidigung. Ohne genaue Aktenkenntnis kann auch keine Verteidigung aufgebaut werden. In diesem Kontext sollte auch der bisherige Steuerberater herangezogen werden um den Sachverhalt vollständig zu erfassen. Welches ist der potentielle Hinterziehungsbetrag? Welches ist der relevante Untersuchungszeitraum? Sind mehrere Steuerarten betroffen? Gibt es mehrere Beschuldigte? Welches Ziel haben die Behörden? Ist eine Einstellung des Verfahrens möglich? Sind Taten verjährt? Welcher Verschuldensgrad wird dem Beschuldigten vorgeworfen? Kann das Verfahren beschränkt werden? Welche Behörden sind bisher mit der Sache befasst?

4. Maßnahme: Erfassung der Rechtslage

Nach der Erfassung der Rechtslage hat das Verteidigungsteam die Rechtslage zu eruieren. Dazu gehört neben dem steuerrechtlichen Sachverhalt, die verfahrensrechtliche Situation und auch eventuelle zivilrechtliche Konsequenzen, z. B. Schadensersatz, gesamtschuldnerische Haftung, etc.. Der steuerstrafrechtliche Sachverhalt beurteilt sich nach §§ 369 ff. Abgabenordnung und insbesondere nach dem § 370 Abgabenordnung in dem die Steuerhinterziehung geregelt ist.

Abgabenordnung (AO) (Auszug) § 370 Steuerhinterziehung

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1.den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1.in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
(…)

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

 

5. Maßnahme: Kommunikation mit den Strafverfolgungsbehörden

Strafverteidigung ist Kommunikation

Strafverteidigung ist weit mehr als die Anwendung von Gesetzen und juristischen Kenntnissen.

Strafverteidigung ist der Kampf um die Meinung der Strafverfolgungsbehörden und des Gerichts. In diesem Kampf für den Beschuldigten sind alle legalen Mittel erlaubt. Am Ende spielt es für eine Verfahrenseinstellung oder einen Freispruch keine Rolle, ob dieser mit juristischen Kenntnissen, einer Arbeit am Sachverhalt, z. B. das Beschaffen von neuen Fakten und Gegenbeweisen, oder aufgrund von einer überragenden Überzeugungsarbeit oder einer Mischung daraus erreicht wurde. Das Ergebnis zählt. Das Ziel und das Ergebnis der Strafverteidigung kann eine Verfahrenseinstellung, ein Freispruch oder eine relative milde Verurteilung sein.

Strafverteidigung erfordert in der Regel den vollen Einsatz des Strafverteidigers*In. Ähnlich wie im Sport gewinnt man selten ohne den vollen Einsatz. Voller Einsatz bedeutet: 100%ige Sachverhaltskenntnis. 100%ige Kenntnis der Strafakten. 100%ige Erfassung der Rechtslage. 100%ige Kommunikation mit dem Mandanten. 100%ige Kommunikation mit den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht. 100%ige Ausarbeitung einer realistischen Verteidigungsstrategie.

Strafverteidigung ist die Kunst für die Sichtweise des Beschuldigten zu werben. Strafverteidigung ist die harte Arbeit alle Argumente für den Beschuldigten ins Feld zu führen. Diese Argumente können Tatsachen sein, die für den Beschuldigten sprechen oder auch rechtliche Argumente.

Strafverteidigung ist besonders im Ermittlungsverfahren Kommunikation und Einarbeitung in den Sachverhalt. Es gilt zunächst im Gespräch mit dem Mandaten heraus zu finden, was tatsächlich geschehen ist. Direkt danach ist Akteneinsicht zu fordern, um sich ein genaues Bild der Lage aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden zu machen. Unmittelbar danach sind die ermittelnden Behörden aufzusuchen und im Gespräch ist herauszufinden, wo die „Reise“ hingeht. Gibt es mehrere Beschuldigte? Welches Ziel haben die Behörden? Ist eine Einstellung des Verfahrens möglich? In der Regel sind die Strafverfolgungsbehörden auch dankbar einen „neutralen“ Ansprechpartner auf Seiten des Beschuldigten zu haben und auch gesprächsbereit. Bei der Beteiligung mehrerer Behörden, z. B. Finanzamt, Steuerfahndung, Zoll und Staatsanwaltschaft kann es sinnvoll sein, den notwendigen Dialog zu fokussieren.

Steuerstrafverteidigung kann alle Phasen eines Strafverfahrens durchzuziehen: Vom Ermittlungsverfahren von Finanzbehörden, Steuerfahndung, Staatsanwaltschaft und Polizei, dem Zwischen- und Hauptverfahren und einem etwaigen Rechtsmittelverfahren bis hin zum Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof für Strafsachen.

Das Steuerstrafverteidiger*innen Team ist gehalten in jeder Phase des Verfahrens wohl überlegt im Sinne des Mandanten die richtigen Mittel auszuwählen um einen maximalen Verteidigungserfolg zu generieren.

Es ist immer ein interdisziplinäres VerteidigerTeam bestehend aus Strafverteidiger*In und Steuerberater*In zu wählen, die beide auf Steuerstrafverteidigung spezialisiert sind. Der bisherige Steuerberater*In kann selbstverständlich weiterhin unterstützend tätig sein.

6. Maßnahme: Aufbau und Umsetzung einer Verteidigungstrategie

Nach der vollständigen Erfassung des Sachverhalts und Gesprächen mit dem Beschuldigten und den Strafverfolgungsbehörden ist eine gemeinsame realistische Verteidigungsstrategie aufzubauen. Dabei sind sämtliche Umstände des Falles zu berücksichtigen, dazu gehören

selbstverständlich auch sämtliche Auswirkungen auf den Beschuldigten, wie z. B. auch private Aspekte und das weitere Fortkommen des Beschuldigten.

Mögliche Verteidigungsstrategien können sein:

Bestreiten und Änderungen des Sachverhalts: Dazu gehört die genaue Überprüfung des von den Finanzbehörden vorgetragenen Sachverhalts und ggf. das Hinweisen auf Fehler in den Anschuldigungen. Auch auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden können Fehler gemacht werden. Hier gilt es diese aufzudecken und im Dialog und mit rechtlichen Maßnahmen zu korrigieren zugunsten des Beschuldigten. Die Ergebnisse müssen spätestens in die Abschlussbesprechung und den Fahndungsbericht Einfluss finden, soweit möglich. Soweit es bereits einen oder mehrere Fahndungsberichte, z. B. vom Zoll gibt, sind diese mit zu berücksichtigen. Es kommt nicht selten vor, dass mehrere Berichte von mehreren Behörden aus verschiedenen Orten vorliegen, z. B. bei Schwarzarbeitsbaustellen und Subunternehmerketten oder Umsatzsteuerkarussellen. In diesem Fall sind auch auf Verteidigerseite Interessenkollisionen zu prüfen.

• Sämtliche Einstellungsformen des Strafverfahrens

Im Steuerstrafrecht gibt es verschiedene Möglichkeiten ein Strafverfahren einzustellen. Hier sind sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen. Eine Einstellung des Strafverfahrens sollte im Vordergrund der Verteidigungsaktivitäten stehen.

• Strafmaßverteidigung

Es kann im Einzelfall auch sinnvoll sein, die Tat zu gestehen und auf eine Einstellung gegen eine Auflagenzahlung oder eine milde Verurteilung hinzuarbeiten. Die Strafmaßvorschriften §§ 46 ff. StGB lassen vielfältige Möglichkeiten und Aspekte zu, ein Strafmaß individuell zu reduzieren.

7. Maßnahme: Einstellung des Verfahrens

§ 393 AO erklärt die Normen des Steuerrechts und des Strafrechts für den Steuerpflichtigen als parallel anwendbar mit einigen Besonderheiten.

Damit gelten neben den Einstellungsnormen des Finanzstrafrechts nach §§ 398 (Einstellung wegen Geringfügigkeit), 398a (Absehen von der Verfolgung in besonderen Fällen) AO auch die Einstellungsnormen der StPO, z. B. § 153 (Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit), § 153a StPO (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen). Hier muss das Verteidigungsteam zusammen mit dem Beschuldigten gründlich erwägen, ob hier eine Einstellung in Betracht kommt und unter welchen Bedingungen. Dabei gilt es insbesondere auch zu Bedenken, bei welchen Behörden welche Einstellungsmöglichkeit erreicht werden kann. Hier gibt es große Unterschiede in der Handhabung der Einstellungsmöglichkeiten; sowohl von Behörde zu Behörde als auch regional. Ferner sind die weiteren Folgen abzuwägen, z. B. Nachzahlung und Verzinsung des hinterzogenen Betrages sowie eine mögliche Gesamtschuldnerschaft (§§ 37, 44, 69, 71 AO §§ 421, 840 ff. BGB) in der Haftung. Besonderheiten bestehen auch dann, wenn z. B. die Finanzbehörde einen Strafbefehl nach § 400 AO beantragt. Hier ist eine sorgfältige Abwägung der rechtlichen Möglichkeiten vorzunehmen. Gleiches gilt im Rahmen von einer Einziehung von Vermögenswerten (§ 401 AO, §§ 73 ff. StGB) oder der Anordnung von Nebenfolgen (z. B. drohendem Berufsverbot im Falle einer Verurteilung § 70 StGB).

Eine Einstellung des Strafverfahrens während des Ermittlungsverfahrens ist anzustreben.

8. Maßnahme: Änderungen für die Zukunft

Als letzter Schritt einer erfolgreichen Verteidigung sollte das Verteidigungsteam und der/die Steuerberater*In die Lehren aus dem Verfahren ziehen und für die Zukunft Änderungsmaßnahmen beschließen und umsetzen, die ein erneutes Strafverfahren vermeiden.