Prüfungsaufbau eines Strafrechtsfalls

Jeder Strafrechtsfall hat seine eigene DNA. Jeder Strafrechtsfall ist anders.

Gerechtigkeit: Gleiches muss gleich behandelt werden. Gleiches ungleich zu behandeln ist ungerecht. ABER: Ungleiches gleich behandeln ist ebenfalls ungerecht.

Der folgende Beitrag richtet sich an die Allgemeinheit.

Alle Strafrechtsfälle werden von einem Gericht oder auch der Staatsanwaltschaft nach dem gleichen Prüfungsmuster geprüft. Somit ist sichergestellt, dass in jedem einzelnen Strafrechtsfall sämtliche relevante Kriterien angewendet werden. Damit wird jedoch auch deutlich, dass es so gut wie niemals den exakt gleichen Fall geben kann. Das führt in der allgemeinen Öffentlichkeit oft zu Unverständnis. Jeder Strafrechtsfall hat seine eigene DNA. Der gleiche „Erfolg“, z. B. Körperverletzung führt zu einer unterschiedlichen Strafbarkeit, je nachdem, ob die Körperverletzung zum Beispiel „aus Versehen“ oder „absichtlich“ geschehen ist oder vielleicht in einer Notwehrhandlung.

Daher werden folgende Punkte stets geprüft.

Prüfungsmuster Strafrecht:
I. Strafbarkeit
1. Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Grundtatbestand
1.1.2 Qualifikationstatbestände
Subjektiver Tatbestand
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld

II. Strafe und Strafzumessung
1.  Tateinheit und Tatmehrheit
2.  Gesamtstrafe
3.  Einzelne Strafzumessungsgründe
4. Nebenstrafen

 

I. Strafbarkeit

Um herauszufinden, ob eine Person sich strafbar gemacht hat oder nicht wird untersucht, ob ein bestimmter Lebenssachverhalt einen Straftatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Diese Prüfung nennt man Subsumtion.

Fall: A schlägt B mit der Faust ins Gesicht. Die Nase des B ist gebrochen.

Es könnte sich bei diesem Lebenssachverhalt um eine Körperverletzung des A an B gemäß § 223 StGB handeln.

1. Tatbestand

Jedes Strafgesetz hat einen Tatbestand. Dieser muss erfüllt sein um zu einer Strafbarkeit einer Person zu gelangen.

1.1 Objektiver Tatbestand

1.1.1 Grundtatbestand

Dies ist der objektive Grund-Tatbestand einer Körperverletzung.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 223 Körperverletzung

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

 

StRJ: Die Deutschen Gesetze könnt Ihr kostenlos auf www.gesetze-im-internet.de einsehen und als PDF Dokument runterladen.

Definitionen nach Rechtsprechung und Literatur:

Eine körperliche Misshandlung liegt nach der ständigen Rechtsprechung vor, bei einer üblen, unangemessenen Behandlung einer anderen Person, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt (Fischer, StGB Kommentar 69. Auflage, 2022, § 223 Rn. 4).

Schädigung an der Gesundheit liegt vor, wenn ein pathologischer Zustand hervorgerufen oder gesteigert wird (Fischer, StGB Kommentar 69. Auflage, 2022, § 223 Rn. 8).

Subsumtion:

Durch den Schlag des A auf die Nase des B und die Folge eines Nasenbruchs liegt eine Körperverletzung des § 223 StGB unproblematisch vor.

1.1.2 Qualifikationstatbestände

Nachfolgend seht Ihr einige Qualifikationstatbestände, bei deren Erfüllung der Strafrahmen der Körperverletzung erhöht wird. Ähnliche Qualifikationstatbestände gibt es auch bei anderen Gesetzen.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 224 Gefährliche Körperverletzung

(1) Wer die Körperverletzung 

1.

durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,

2.

mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,

3.

mittels eines hinterlistigen Überfalls,

4.

mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder

5.

mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung

begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 225 Mißhandlung von Schutzbefohlenen

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die 

1.

seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,

2.

seinem Hausstand angehört,

3.

von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder

4.

ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,

quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr 

1.

des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder

2.

einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung

bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 226 Schwere Körperverletzung

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person 

1.

das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,

2.

ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder

3.

in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,

so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Vorliegend ist kein Qualifikationstatbestand erfüllt. Anders wäre es, wenn A z. B. ein Messer verwendet hätte oder B das Sehvermögen verloren hätte.

1.3 Subjektiver Tatbestand

Bei Vorsatzdelikten gehört zum subjektiven Tatbestand der Tatbestandsvorsatz.

§ 15
Vorsätzliches und fahrlässiges Handeln

Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.

Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände (Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht – Allgemeiner Teil, 51. Auflage, Seite 105, Rn. 313)

Vorliegend würde das Gericht A befragen, warum und wieso er dem B auf die Nase geschlagen hat.

Hier spricht viel für ein vorsätzliches Handeln des A.

2. Rechtswidrigkeit

Für eine Strafbarkeit muss die Rechtswidrigkeit hinzukommen.

Eine Handlung ist rechtswidrig, wenn sie den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht und nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist (Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht – Allgemeiner Teil, 51. Auflage, Seite 132, Rn. 395).

Die klassischen Rechtfertigungsgründe sind (Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht – Allgemeiner Teil, 51. Auflage, Seite 142, Rn. 421):

  • Einwilligung des Verletzten
  • Notwehr
  • Notstand

Vorliegend könnte es sein, dass A möglicherweise aus Notwehr gehandelt hat, wenn er z. B. zuvor von B mit einem Messer angegriffen worden ist.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 32 Notwehr

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

 

3. Schuld

Als letztes wird die Schuld eines Täters festgestellt.

Neben der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ist die Schuld strafbegründendes und strafbegrenzendes Merkmal.

Keine Strafe ohne Schuld

Das Deutsche Strafrecht beruht auf dem Schuldprinzip. Strafe setzt Schuld voraus.  (Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht – Allgemeiner Teil, 51. Auflage, Seite 214, Rn. 618).

Der Täter muss fähig sein, das Unrecht der Tat einzusehen und danach zu handeln.

Die Schuld kann zum Beispiel eingeschränkt sein, durch eine Geisteskrankheit, hochgradigen Affekten, Psychosen, Drogen- oder Alkoholkonsum, etc.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 21 Verminderte Schuldfähigkeit

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

 

Vorliegend sind keine Gründe für eine verminderte Schuldfähigkeit vorhanden. A hat daher schuldhaft gehandelt.

II. Strafe und Strafzumessung

Nachdem die Strafbarkeit des A festgestellt wurde, wird das Gericht auf eine Strafe erkennen. Dabei geht das Gericht nach den §§ 46 ff. – 56 ff. StGB vor.

StRJ: Zur Strafzumessung empfehlen wir das Buch von Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung

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Strafgesetzbuch (StGB)
§ 46 Grundsätze der Strafzumessung

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht: 

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,

die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,

das Maß der Pflichtwidrigkeit,

die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,

das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie

sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

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Die Einzelheiten der Strafzumessung werden in einem gesonderten Beitrag erörtert.

Für eine derartige Tat wird in der Regel eine Geldstrafe oder eine geringe Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird erhoben.

Der Strafprozeß endet in der Regel durch ein Urteil.

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