Die perfekte Strafanzeige

Praxistipp für Strafverteidiger:

Wie schreibt man eine perfekte Strafanzeige

Jeder Rechtsanwalt/In und jeder Strafverteidiger/IN hat wahrscheinlich bereits mehr als eine Strafanzeige im Berufsleben geschrieben. Dabei besteht oft die Versuchung oder der Druck dem Mandanten „hinterherzuschreiben“, auf eine eigene Recherche weitestgehend zu verzichten und viele Rechtsausführungen zu machen. Doch ist dies hilfreich?

Zunächst hilft ein Blick in die StPO. Welche Vorschriften muss ich berücksichtigen?

Hilfreiche Vorschriften: §§ 152, 160, 163, 170, 171, 172, 173, 174 175, 244, 261 StPO.

Die erste Frage, die ich mir als Rechtsanwalt/In des  Anzeigeerstatters stellen muss ist, welches Ziel erreicht werden muss. Die ersten Hilfestellungen geben §§ 160, 163 StPO.

 Strafprozeßordnung (StPO)
§ 160 Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung

(1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.

(2) Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.

(3) Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen sich auch auf die Umstände erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu kann sie sich der Gerichtshilfe bedienen.

(4) Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen.

 

„Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält …“

Ich muss es als Anzeigeerstatter im ersten Schritt schaffen, den konkreten Verdacht einer Straftat hervorzurufen, damit die Staatsanwaltschaft die Pflicht hat, Ermittlungen aufzunehmen (… den Sachverhalt zu erforschen). Dabei ergibt sich der Verfolgungszwang der Staatsanwaltschaft bereits aus § 152 Abs. 2 StPO (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO Kommentar, 65. Auflage, 2022, § 160, Rn. 1).

 

Strafprozeßordnung (StPO)
§ 152 Anklagebehörde; Legalitätsgrundsatz

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

 

Um die Ermittlungen in Gang zu setzen ist also mindestens ein Anfangsverdacht in der Strafanzeige zu begründen. Dieser Anfangsverdacht muss sich aus konkreten Tatsachen ergeben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO Kommentar, 65. Auflage, 2022, § 152, Rn. 4). Es gilt also die Staatsanwaltschaft von einem bestimmten Sachverhalt und einer daraus abgeleiteten bestimmten Straftat „zu überzeugen“. Dies gelingt am ehesten durch eine schlichte, konkrete, chronologische, nüchterne Mitteilung von Tatsachen.

StRJ Hinweis: Der Anzeigerstatter ist daher gehalten, die Tatsachen so exakt zu beschreiben, dass sich daraus der Anfangsverdacht einer Straftat ergibt.  Am besten ist es daher, die Anzeige in Form einer genauen chronologischen Geschichtserzählung vorzunehmen.

 

Dies ist leichter gesagt als getan.

Oft wird in der Mitteilung der Tatsachen im Rahmen der Anzeigeerstattung chronologisch hin und her gesprungen oder „Gedankensprünge“ gemacht. Oft teilt der Mandant den Sachverhalt in mehreren Gesprächen mit oder reicht Unterlagen nach, so dass die Sachverhaltsschilderung erschwert wird.

Auch werden gerne in der Mitte der Tatsachenschilderung teilweise „wilde Rechtsausführungen“ gemacht oder Wertungsbegriffe als Tatsachen verkauft, z. B. A, B und C sind eine „Bande“ und haben X „betrogen“. „Bande“ und „Betrug“ sind rechtliche Wertungsbegriffe, die erst als Schlussfolgerungen am Ende der Tatsachenerzählung vorgenommen werden können. Die Kunst der Strafanzeige besteht darin, alle für die juristische Bewertung wichtigen Tatsachen mitzuteilen, ohne die Wertung direkt vorzunehmen oder sogar nur die Wertung anstelle der Tatsachen mitzuteilen. Der Wechsel in der Strafanzeige zwischen Tatsachenmitteilungen und Rechtsausführungen sollte auf ein Minimum beschränkt werden. Besser ist es grundsätzlich erst nur die Tatsachen mitzuteilen und die Rechtsausführungen am Ende zu machen. Damit wird eine „wilde Strafanzeige“ die zwischen verschiedenen Aspekten hin und her springt vermieden.

Ferner gilt: Wiederholungen vermeiden. In einer bespielhaften Anzeige hatte ein Rechtsanwalt an mindestens 10 Stellen wiederholt, dass es sich bei sämtlichen benannten Personen um eine Bande handelt. Dies ist nicht zielführend. Wiederholungen ohne juristischen Inhalt machen es nicht besser und aus verschiedenen Personen keine Bande. Der einzige Effekt ist, dass der Staatsanwalt/In die Aufmerksamkeit verliert und dem Sachverhalt schwerer folgen kann.

Am Beispiel des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB „Diebstahl… als Mitglied einer Bande“ mag dies verdeutlicht werden.

Bande ist eine Gruppe von Personen (mindestens 3), die sich ausdrücklich oder stillschweigend zur Verübung fortgesetzter Diebestaten verbunden hat. Es muss also eine „Bandenabrede“ bestehen (Fischer, StGB Kommentar, 69. Auflage, 2022, § 244 Rn. 34 ff.)

Der Anzeigeerstatter muss daher darlegen, dass sich die genannten Personen vereinbart haben, künftig für eine gewisse Dauer eine Mehrzahl von Straftaten zu begehen. Es ist sinnvoll in der Anzeige zu beschreiben, woraus sich diese Vereinbarung ergeben soll. Es gibt Straftaten, z. B. Serienbetrugstaten, wo sich der „Bandenbegriff“ möglicherweise aufdrängt, er aber nicht unbedingt für sämtliche Personen greifen mag. Es ist daher zwingend notwendig, sich in der Strafanzeige damit detailliert auseinanderzusetzen.

 

Ferner sollten emotionale Übertreibungen vermieden werden. Der Strafverteidiger/In wird oft versucht sein dem Mandanten zu gefallen und die in der Regel emotionale Sprache des Opfers in die Strafanzeige einfließen zu lassen. „Der Beschuldigte hat meinen Mandanten „brutal und grundlos“ ins Gesicht geschlagen, so dass dieser „wahnsinnige“ Schmerzen hatte. Oder: Der „völlig gewissenlose“ Beschuldigte hat das Opfer in „gemeinster“ Weise „betrogen“. Es bietet sich hier eher an einen nüchternen Sprachstil zu verwenden. Dies wirkt seriöser und bewirkt nicht beim Leser (Staatsanwaltschaft) das Gefühl, dass hier „krampfhaft“ versucht wird, einer anderen Person ein Delikt anzuhängen.

Es müssen in der Strafanzeige sämtliche Tatsachen – am besten chronologisch -vorgetragen werden, die die Tatbestandsmerkmale der behaupteten Delikte erfüllen. Dabei sollte die Geschichte aus sich heraus verständlich sein – also ohne die Zuhilfenahme von anderen Dokumenten.

Wenn zum Beispiel die Strafbarkeit wegen Betrugs begründet werden soll müssen folgende Tatbestandsmerkmale vollständig durch die „Geschichte der Tatsachen“ in der Strafanzeige erfüllt werden.

 

Betrug § 263 StGB

  • Täuschungshandlung über (verkehrswesentliche) Tatsachen
  • Irrtum des Opfers
  • Vermögensverfügung und Irrtum im Zeitpunkt der Vermögensverfügung
  • Vermögensschaden
  • Durchgehende Kausalität im objektiven Tatbestand
  • Vorsatz und Absicht der stoffgleichen Bereicherung
  • Rechtswidrigkeit der Bereicherung und Vorsatz darauf
  • Rechtswidrigkeit als Fehlen von Rechtfertigungsgründen
  • Schuld

 

Es sollten in der Strafanzeige auch Beweise angeboten werden, z. B. Zeugen benannt werden, Dokumente in Kopie beigefügt werden, etc. Beliebt ist es, dass Rechtsanwälte/Innen anbieten „Beiziehung der Akten aus dem Prozess xyz …..“. Dies mag durchaus sinnvoll sein, doch sollten die entscheidenden Dokumente immer in Fotokopie beigefügt werden, um es der Staatsanwaltschaft so leicht wie möglich zu machen, den Sachverhalt aufzunehmen.

Ein wichtiges Thema ist die Eigenschädigung des Anzeigeerstatters/In. Oft werden Tatsachen vorgetragen, die zwar eine andere Person belasten, den Anzeigerstatter jedoch ebenfalls belasten. Hier muss der Rechtsanwalt/In abwägen, ob eine Strafanzeige nicht zum Eigentor für den Mandanten wird. Gerade bei Wirtschaftsdelikten wie Betrug im Immobilienbereich oder bei Steuerhinterziehung oder bei Straftaten eines Mitgesellschafters oder Mitgeschäftsführers ist sorgfältig zu prüfen, ob hier nicht auch eine Straftat des Anzeigeerstatters vorliegt. Ein solches Gespräch mit dem Mandanten wird möglicherweise nicht einfach, ist jedoch zwingend erforderlich. Falls der Anzeigeerstatter auf der Anzeige besteht, sollte der Rechtsanwalt/In eine schriftliche Belehrung an den Mandanten verfassen, dass sich dieser im Rahmen der Strafanzeige selbst unter Verdacht setzen wird und Ermittlungen auch gegen sich selbst auslösen wird, und sich diese Belehrung vom Mandanten unterschreiben lassen.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Anzeigerstatter jederzeit als Zeuge vorgeladen werden kann und mündlich aussagen muss und dann nicht mehr auf den „Filter“ des Rechtsanwalts/In zurückgreifen kann. Bei der Möglichkeit einer Eigenschädigung sollte ggf. auf eine Strafanzeige verzichtet werden. Hier ist eine sorgfältige Abwägung erforderlich (siehe auch § 55 StPO „Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen“).

Bei langen Strafanzeigen (z. B. 30 bis über 100 DIN A 4 Seiten) – zum Beispiel im Bereich von Wirtschaftsstraftaten – bietet es sich an, vor der detaillierten Beschreibung der Tatsachen eine kurze Zusammenfassung voranzustellen und die Strafanzeige sogar ggf. mit einer Gliederung/Inhaltsverzeichnis zu versehen. Bei Wirtschaftsstraftaten sollte dieses Vorgehen die Regel sein.

StRJ: Machen Sie es der Staatsanwaltschaft so einfach wie möglich

 

Rechtliche Würdigung: Eine rechtliche Würdigung ist eigentlich nicht erforderlich, ist doch die Staatsanwaltschaft gehalten, den Sachverhalt strafrechtlich zu würdigen und die Strafverfolgung einzuleiten  (§ 152 Abs. 2 StPO). Dennoch wird es sich zu Recht kein Rechtsanwalt/In nehmen lassen, selbst Rechtsauführungen zu machen. Diese sollten allerdings richtig sein – auch im Detail. Oft wird nur ein Delikt „halbherzig“ mit einem juristischen Schleudersatz erwähnt und dann der weitere Halbsatz angefügt …. wegen sämtlicher einschlägigen Delikte. Dies wirkt unglücklich und mag bei der Staatsanwaltschaft den (hoffentlich falschen) Eindruck erwecken, dass die Strafanzeige nicht sorgfältig erstellt wurde und beeinträchtigt damit das Ziel der Aufnahme von Ermittlungen und Erhebung der öffentlichen Klage.

Vor der Erstellung der Strafanzeige muss geprüft werden, ob die Straftat ggf. verjährt ist (Verjährung § 78 StGB).

Zum Schluss muss noch eine kurze Prüfung erfolgen, ob neben der Strafanzeige ggf. noch ein Strafantrag zu stellen ist (§ 77 StGB).

Zuletzt sei der Hinweis an die Strafverteidiger/Innen gegeben, die Strafanzeige gewissermaßen als „Sprachrohr“ vorzunehmen; d. h. der Strafverteidiger/In sollte sich den vorgetragenen Sachverhalt nicht zu eigen machen und zum Beispiel die Strafanzeige alleine unterschreiben.

StRJ: Es ist dringend zu raten, den Mandanten selbst die Strafanzeige mitunterschreiben zu lassen.

 

Hat der Rechtsanwalt/In Zweifel an der Richtigkeit der Erklärungen des Mandanten, sollte er den Mandanten eindringlich auf die Wahrheitspflicht und die strafrechtlichen Folgen einer falschen Verdächtigung hinweisen und im Zweifel die Strafanzeige nicht stellen oder zumindest in der Strafanzeige selbst deutlich darauf hinweisen, dass der Rechtsanwalt/In den Sachverhalt nicht selbst geprüft hat und sich vom Inhalt distanzieren.

Damit wäre die Strafanzeige eigentlich perfekt. Es gibt jedoch noch die folgenden Überlegungen zu beachten.

Weitere Anforderungen?

Wir hatten eingangs gesagt, dass es das Ziel der Strafanzeige ist, einen Anfangsverdacht bei der Staatsanwaltschaft zu wecken um Ermittlungen auszulösen. Doch ist das ausreichend?

Aus § 170 Abs. 1 StPO ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage erhebt, wenn „die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“ ergeben.

Fehlt ein solcher hinreichender Tatverdacht (§ 203 StPO) stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein (§ 170 Abs. 2 StPO). Hiergegen können dann die Rechtsmittel des § 172 StPO eingelegt werden, sofern der Antragsteller der Verletzte ist.

Mit anderen Worten: Der Anzeigeerstatter muss letztendlich erreichen, dass nicht nur ein Anfangsverdacht gegeben ist, sondern ein hinreichender Tatverdacht. Zwar kann der Anzeigeerstatter in der Regel nicht die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ersetzen, er muss jedoch ALLES vorbringen, was in seiner Macht steht, damit die Staatsanwaltschaft nach ihren Ermittlungen in der Lage ist, die Anklage zu erheben.

Damit gibt § 170 StPO die Anforderung an die Strafanzeige vor, so gut wie möglich gemacht zu werden. Die Strafanzeige stellt höchste Sorgfaltsanforderungen an den Rechtsanwalt/In.

StRJ: Die „perfekte“ Strafanzeige besteht in einer schlichten, detaillierten und chronologischen Geschichtserzählung, die einen Sachverhalt zu sämtlichen Tatbestandsmerkmalen eines Straftatbestandes enthält. Die Geschichte muss aus sich heraus verständlich sein. Beweise sind anzubieten. Eine kurze richtige rechtliche Würdigung folgt dem Sachverhalt. Der komplexen Strafanzeige sollte eine kurze Zusammenfassung mit Inhaltsverzeichnis vorangestellt werden. Die Strafanzeige ist auch vom Mandanten zu unterzeichnen.