Cum Ex Geschäfte
Sämtliche Tageszeitungen berichteten ab dem 19.08.2022 über die Vernehmung von Bundeskanzler Olaf Scholz (64, SPD) vor dem Untersuchungsausschuss des Hamburger Parlaments. Es ging um die Frage, ob er in seiner Zeit als Bürgermeister von Hamburg (2011-2018) Einfluss darauf genommen hat, dass die Hamburger Warburg Bank eine unberechtigt erhaltene Steuererstattung für Kapitalerträge im Rahmen von sog. „Cum-Ex-Geschäften“ von 47 Millionen Euro nicht oder nicht rechtzeitig an das Finanzamt zurückerstatten musste. Hierbei wird das Jahr 2016 maßgeblich sein.
Olaf Scholz beteuert keinen Einfluss genommen zu haben. Allerdings kann er sich nicht mehr an die Einzelheiten eines oder mehrerer Gespräche mit dem Warburg Banker Christian Olearius (80) erinnern. Brisant ist, das es mehrere Gespräche unter anderem mit den Herren Johannes Kahrs (SPD)und Alfons Pawelczyk (SPD) und Olaf Scholz gegeben haben soll. Hierzu gibt es detaillierte Notizen von Olearius. Aufgrund der vielen detaillierten Gespräche und in Anbetracht der Bedeutung der Sache erscheint es unwahrscheinlich, dass die Erinnerungslücken bei Scholz tatsächlich ein derartiges Ausmaß annehmen. Möglicherweise liegt eine Flucht in die Unwissenheit vor. Das Gegenteil wird ihm aber wohl nicht bewiesen werden können.
BILD titelt daher am 20.08.2022 „Kanzler Weiß nix, Weiß ich nicht, kann mich nicht erinnern, keine Ahnung.“ Mehr als 50 mal sagte der Kanzler, er könne sich nicht erinnern.
Die WELT AM SONNTAG titelt: „Mann ohne Erinnerung.“
STRAFRECHTSJOURNAL Kommentar:
So sehr Olaf Scholz hier keine gute Figur macht, bleibt es doch zu erwähnen, dass Olaf Scholz hier nicht der Player war, sondern allenfalls eine Randfigur im Nachgang zu den Cum-Ex-Geschäften im Jahr 2016, die möglicherweise eine Rückzahlung von unberechtigt erstatteter Kapitalertragssteuer verzögert – nicht einmal verhindert – hat. Das Medieninteresse ist natürlich hoch bei dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, allerdings wird hier zu Unrecht eine Figur in den Mittelpunkt der Cum-Ex-Deals gerückt, die dort nicht hingehört. Olaf Scholz ist seit Jahren ein emsiger Verfechter eines gerechten Steuersystems und auch bemüht sog. „Steuerschlupflöcher“ zu schließen.
Das Medieninteresse im Rahmen der Cum-Ex-Deals besteht hier an der falschen Person.
Die kriminellen Player waren andere, die im Wesentlichen seit 2002 bis 2012 die Cum-Ex-Strategie entworfen hatten. Als ein „Architekt“ der Cum-Ex-Deals gilt der deutsche Rechtsanwalt Hanno Berger (71), der inzwischen vor dem Landgericht Bonn angeklagt wurde.
Was sind Cum-Ex-Geschäfte:
Cum-Ex-Strategie bedeutet, dass eine Person B die Aktie des rechtlichen Eigentümers A „leer“ – also ohne Eigentümer zu sein – an C vor dem Dividendenstichtag – als „Cum (mit) Dividende“ verkauft und nach dem Dividendenstichtag (Tag der Hauptversammlung) – als „Ex (ohne) Dividende“ liefert, weil er sie inzwischen (also nach dem Dividendenstichtag) gekauft hat, während A inzwischen tatsächlich die Dividende erhalten hat. A zahlt auch tatsächlich die 25 %ige Kapitalertragssteuer und erhält eine Gutschrift in gleicher Höhe, unter bestimmten Bedingungen. Es soll auch Fälle gegeben haben, in denen die Kapitalertragssteuer gar nicht gezahlt wurde. Hierfür ist es wahrscheinlich, dass Depotbanken „geholfen“ haben. Nun wird allerdings nicht nur dem A eine Kapitalerstattung bewilligt, sondern auch dem B, weil dieser „angeblich“ im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung ein „doppelstöckiges wirtschaftliches Eigentum“ an der Aktie gehabt habe, was es freilich juristisch nicht gibt und nie gegeben hat. Das Eigentumsrecht unterliegt dem Numerus Clausus des Sachenrechts, daher gibt es Alleineigentum, Miteigentum und Gesamthandseigentum ABER nicht zweimal im gleichen Zeitpunkt vorhandenes Alleineigentum; auch nicht in einer einzigen juristischen Sekunde. Daran besteht kein Zweifel. Dieses Ergebnis wird auch nicht durch den Hinweis auf einen virtuellen Vorgang geändert.
Hinzu kam eine (fingierte) Kompensationszahlung von B an C für die verloren gegangene Dividende. Unter Einbeziehung von gehebelten Krediten und von Auslandsgesellschaften sowie einer Verleihe der Aktien ließen sich die „Gewinne“ weiter optimieren. Insoweit ist auch das Bemühen einer angeblichen Gesetzeslücke bis 2012 ein Fehlgriff. Cum-Ex-Deals waren und sind von Anfang an gezielte und beabsichtigte Steuerhinterziehung. Die „Mehrfacherstattung“ der einmal gezahlten Kapitalertragssteuer war das alleinige Ziel der wirtschaftlichen Aktionen. Es gab detaillierte Pläne, wann und wo und mit welchem Geld welche „Gewinne“ erwirtschaftet und verteilt werden. „Investoren“ wurden allein mit dieser Zielsetzung angeworben. Der Leerverkäufer A machte den Gewinn in Höhe von mindestens einer zuviel erstatteten Kapitalertragssteuer, den er dann mit den anderen „Partnern“ nach einem zuvor vereinbarten Schlüssel teilen musste. Seit ca. 2007 wurden die Cum-Ex-Geschäfte durch weitere Einschaltung von Auslandsbanken weiter verschleiert.
Olaf Scholz hat hierbei nicht mitgewirkt. Er könnte insofern bezogen auf die Warburg Bank und das entscheidende Jahr 2016 – also 4 Jahre nach Beendigung der Cum-Ex-Deals – allenfalls theoretisch eine irgendwie geartete Beihilfehandlung zu einer möglichen Steuerverkürzung eines anderen (Warburg Bank) (§ 270 Abs. 4, Satz 1 AO), Haushaltsuntreue (§ 266 StGB) oder eine Begünstigung (§ 257 StGB) begangen haben. Unabhängig von seiner eingeschränkten Erinnerung, würde es hier in strafrechtlicher Hinsicht mehrere „Klippen“ bis zu einer Strafbarkeit geben. Eine Verurteilung von Olaf Scholz wäre sehr unwahrscheinlich. Auch bleibt zu erwähnen, dass die Warburg Bank die 47 Millionen Euro zurückgezahlt hat und insofern letztlich kein Steuerschaden entstanden ist. Dieser Umstand führt freilich nicht immer zu einer nicht gegebenen Strafbarkeit (siehe z. B. Rechtsprechung zum Kompensationsverbot). Allerdings wird Scholz sich – je nach Argumentationsstruktur – darauf berufen können.
Scholz steht daher zu Unrecht in einem derartigen Medieninteresse.
Es bleibt daher spannend, ob und wann eine umfassende politische Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte stattfindet. Der letzte Untersuchungsausschuss des Bundestages im Jahr 2015 /2016 hat hier wenig erhellt.
Eher stellt sich die Frage einer Verantwortung der Finanzminister in den aktiven Jahren der Cum-Ex-Deals 2002 bis 2012 – also der Herren Hans Eichel SPD (12.04.1999 bis 22.11.2005), Peer Steinbrück SPD (22.11.2005 bis 27.10.2009) und Wolfgang Schäuble CDU (27.10.2009 bis 24.10.2017), die die Cum-Ex-Deals nicht verhindert hatten. Natürlich müsste auch hier geklärt werden, welcher der Herren wann, wie und was gewusst hatte. Ein schweres Unterfangen. Cum-Ex-Deals sind daher kein besonderes SPD Problem, sondern mindestens ebenso ein CDU Problem. Es wäre wünschenswert, dass alle Parteien uneingeschränkt und parteineutral an der weiteren Aufklärung mitwirken und nicht besonders auf Vertreter der jeweils anderen Partei zeigen.
Für die Bürger Deutschlands bleibt ein unbehagliches Gefühl, dass es offenbar so leicht ist Milliarden Euro über 10 Jahre lang „abzuzocken“, ohne dass es „einer“ merkt oder ohne dass „einer“ einschreitet. Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker (48) und ihr Team, die die Strafverfolgung bezüglich der Cum-Ex-Deals leiten, haben noch viel zu tun.
Dabei geht es für die Gesellschaft in Deutschland weniger um Einzelfallgerechtigkeit als um das Gefühl der Bevölkerung, dass es am Ende doch nicht funktioniert hat. Verbrechen – auch Wirtschaftsverbrechen dürfen sich nicht lohnen. Wobei zu befürchten ist, dass hier nur die Spitze des Eisbergs tatsächlich bekämpft werden kann, weil einfach zu viele Personen und Institutionen mitgemacht und profitiert haben.